III. Akt - Oh, Boy!
Montag, 30.01.2012, irgendwas um 15 Uhr herum. Wir sind im Kreißsaal.

Alles ist aua. Mit vorletzter Kraft von irgendwoher robbe ich von der Transport-Liege auf das Kreißbett. Ich weiß gar nicht wie mir geschieht.

Eine Wanne. Ob ich in die Wanne möchte, zur Erleichterung der ganzen Sache, fragt die Hebamme. Ja! Eine Wanne!

Als der Riesenbottich endlich vollgelaufen ist, schleppe ich mich irgendwie in das Bassin. Die Hebamme und die Hebammenschülerin versuchen die CTG-Gürtel anzulegen. Ich versuche mich zu entspannen. Das Baby-CTG gibt nix gutes wieder. Offensichtlich will das Baby nicht mehr baden, es ist unfit. Also, nichts mit entspannen, sondern raus aus der Wanne, zurück auf das Bett. Die Hebamme und die Schülerin sind ein bisschen hektisch. Ich hab keine Kraft, um zu fragen, ob es dem Zwerg gut geht.

Auf der Liege werde ich noch mal untersucht. Mein Muttermund gibt offensichtlich Vollgas. "Das geht ganz schnell.", sagt die Hebamme. "Wenn die nächste Wehe kommt, dann können sie mitschieben."

Mitschieben?
In meinem Kopf passieren die Phasen der Geburt, die ich im Vorbereitungskurs und in den ganzen tollen Büchern immer vernommen habe, Revue. Wo war hier bitte meine Eröffnungsphase, wo meine Austreibungsphase? Meine Wehen kamen einfach von null auf Schuss. Ich erinnere mich an die Kreißsaalbesichtigung. Schöne Musik solle man sich mitbringen, einen Badezusatz. Ich erinnere mich an das Seil und den Geburtshocker. Und dass man losfahren soll, wenn die Wehen alle fünf Minuten kommen. Ich hatte nie einen Abstand von fünf Minuten. Meine Wehen haben direkt losgewummert wie die Musik auf den wüsten Raves der 90er.

Mitschieben.
Ich schiebe und schiebe. Wehe um Wehe. Irgendwann war auch noch die Sache mit der PDA, fragen Sie mich nicht wann. Wir haben das kurz andiskutiert und JA, ich wollte sie. Ich habe sie mir gewünscht, gefleht habe ich. Weil ich felsenfest davon überzeugt war, dass diese Kanüle im Rücken nicht schlimmer als diese Schmerzen sein können und weil ich ja sowieso nicht mehr von diesem Bett runterkam. Der Vater wurde mit Mundschutz und Kittel ausstaffiert und fing an das Formular auszufüllen. Und kam bis zur Hälfte des Zettels.

Überrascht es Sie, dass für die PDA keine Zeit blieb? Nein, nicht wirklich, oder? Bis ein Anästhesist dagewesen wäre, wäre ich schon fast fertig. Also, leider keine PDA. Mundschutz ab, Zettel weg. Ich muss da alleine durch. Gegen die Schmerzen gibt's für mich leider nichts mehr. Das bekomme ich irgendwie aus 80km Entfernung alles so halbwegs mit. Irgendwie. Meine Sinne sind total benebelt.

Ich bin mit meiner Kraft völlig am Ende. Ich wiederhole immer wieder "Ich kann nicht mehr." Alle im Raum befindlichen Personen versichern mir, dass ich kann. Bei jeder Wehe, bei jedem Schieben feuert die Hebamme mich mit einem dreifachen "jawoll! jawoll! jawoll!" an. Die Hebammenschülerin atmet mir vor und ermahnt mich, dass ich zum Kind atmen müsse. Ich schaffe nicht mal mehr für mich selbst zu atmen.

Irgendwann merke ich auch, dass sich was bewegt. Das motiviert mich irgendwie. Dummerweise lassen meine Wehen nach. Die Abstände werden immer größer. Jetzt sind es nicht mehr die Wehen, die Schmerzen machen, sondern die Abstände dazwischen. Das läuft alles nicht gut. Das CTG vom Baby ist schlecht. Das bekomme ich irgendwie am Rande mit.

Die Hebamme ruft einen Arzt. Sonst war sie extrem ruhig und souverän, aber als ich höre, dass sich ihre Stimme überschlägt, als sie den Nachsatz "ich brauche einen Arzt hier. DRINGEND!" eindringlich formuliert, bekomme ich Angst.

Dann erklärt sie mir, dass ich einen Wehentropf bekommen sollte, weil meine Wehentätigkeit abnimmt. Als würde ich in meinem Zustand noch diskutieren oder hinterfragen.

Oxytozin-angetrieben und jetzt auch mit Unterstützung des Oberarztes geht es weiter. Erster Schritt: Der Doktor drückt das Baby von oben aus dem Bauch raus. Zweiter Schritt: Saugglocke. Einmal pressen und jetzt geht es merklich voran. Noch einmal pressen und das Baby ist raus. Was für ein Gefühl. Es ist 17:37 Uhr.

Als sie es hochheben sehe ich ungelogen direkt auf Augenhöhe den Schniedel des kleinen Mannes und bin überhaupt nicht überrascht. Ich wusste immer, immer, immer, dass das ein Junge ist.

Die Nabelschnur lag um den Hals, der Kurze wird mir kurz gegeben, dann direkt untersucht. Der 10-Minuten APGAR-Test bringt alle 10 Punkte. Der kleine Kerl ist zäh.

Und dann warten wir noch auf die Plazenta. Ich bleibe am Wehentropf. Es muss doch noch eine Nachwehe kommen, die dieses - pardon - Scheißding raustreibt. Die Zeit vergeht. Die Hebamme wartet noch. Aber ewig könne sie nicht warten. "Wenn die Plazenta sich nicht löst", erklärt sie mir, "dann müssen wir die operativ entfernen." Ich nicke. "Sie bekommen dann eine Spinalanästhesie." Ich nicke. Ich bin gewillt dieses Ding mit meiner Willenskraft abzulösen und da rauszubefördern, koste es was es wolle. Ich lasse mich hier jetzt nicht noch ausschaben. Nein. Nein. Nein.

Eine zweite Hebamme kommt und akupunktiert mich. Wir warten noch etwas weiter.

Nach einer Stunde des Wartens ist Schicht. Jetzt zählt es. Entweder die beiden Hebammen bekommen das Viech raus oder ich werde operiert. Die eine Hebamme, massiert und drückt auf meinem Bauch herum. "Ich muss sie jetzt ein bisschen hart anfassen, das tut mir leid.", sagt sie. "Kein Problem.", sage ich. Das sind doch keine Schmerzen im Vergleich zu dem, was hinter mir liegt.

Zwei mal drückt die Hebamme feste zu, dann ist die Plazenta raus. Und dann die Begutachtung, ob alles vollständig ist. Meine Güte, wie spannend. Aber jaaaaaa. Es ist alles vollständig rausgekommen. Es gibt doch einen Gott!!

Ich werde genäht, ich bekomme mein Kind hingelegt, ich bekomme ein Schmerzmittel. Ich sage ziemlich oft scheiße, weil die ganzen Schläuche meines Zugangs mich beim Schmusen mit dem kleenen Mann stören und weil ständig irgendwas piepst, wackelt oder ruckelt.

Ich bin fertig, ergriffen, glücklich, kaputt, erleichtert, geschafft, verärgert, traurig, entzückt - alles gleichzeitig.

Und das war der erste Blick, den mir der kleine Mann zuwarf:





sid am 12.Feb 12  |  Permalink
Alles gut gegangen, nur das zählt : )

frollein am 12.Feb 12  |  Permalink
Sowieso.
Ich will mich ja auch nicht beklagen.

Es will ja auch niemand 12, 18 oder 36 Stunden in den Wehen liegen. Aber so ein bisschen mehr Zeit wäre vielleicht auch schön gewesen.

Naja. Es kommt eben immer wie es kommt.

sid am 12.Feb 12  |  Permalink
Ich war vorhin zu ergriffen, um mehr schreiben zu können.
Mir fällt noch immer nicht mehr passenderes dazu ein.

Sie sind sehr tapfer. Das alles an einem Tag und ohne Frühstück.


Mir hat letztens ein Mann einen Vortrag gehalten, warum Männer keine Kinder kriegen könnten. Da gings mehr um die Schmerzlevel.

frollein am 12.Feb 12  |  Permalink
Da braucht's auch gar nicht viel passendes. Geburtsberichte sind und bleiben eben Geburtsberichte... ;)

frauaehrenwort am 12.Feb 12  |  Permalink
Oh wie spannend! Ich habe Tränen in den Augen! Nochmal herzlichen Glückwunsch!!!!

frauaehrenwort am 12.Feb 12  |  Permalink
Ach so.meine erste Tochter brauchte fünf tage. das will auch keiner haben.

frollein am 12.Feb 12  |  Permalink
Nein, fünf Tage ist auch furchtbar. Beim nächsten wird alles besser. Das zweite geht ja immer schneller, sagen Sie.

(Ein zweites verkneife ich mir daher, noch schneller schaff ich nicht... *lol*)

Und danke nochmal :)

bie_st am 12.Feb 12  |  Permalink
hammer. ich bin hin und weg. ich will auch... oder lieber doch nicht... ich weiß nicht... aber es ist cool, das alles zu lesen. danke an den kleinen kerl, dass er dir ein bisschen blog-zeit lässt. ;)
und ganz ehrlich - diese bild ist grandios. was für ein knautsch-blick! damit wird er dich die nächsten jahre um den finger wickeln! :))

frollein am 13.Feb 12  |  Permalink
Der ist ein Charmeur, schon jetzt :)

Das alles zu lesen ist das eine und doch behaupte ich, dass man lesen, sich informieren und in Kurse gehen kann, wieviel man will. Eine wirkliche Geburts"vorbereitung" gibt es nicht. Jede Geburt ist anders und trotzdem funktioniert alles von ganz allein. Man sollte nur keine Angst haben.

Ich reiche gerne ein symbolisches Stöckchen an sie weiter und verpflichte Sie für den nächsten Schwangerschaftscontent ;)

frl.deville am 12.Feb 12  |  Permalink
Gut gemacht! Sehr tapfer!
Herzlichsten Glückwunsch!

frollein am 13.Feb 12  |  Permalink
Dankeschön.

(Und von wegen tapfer. Ich hab soooo viel gejammert. Es ist mir peinlich)

frau klugscheisser am 13.Feb 12  |  Permalink
WOW, der blinzelt jetzt schon. Auf weitere Berichte warte ich gespannt. Nur die Geburt, die hätte ja doch was länger sein können (natürlich nur wegen des Unterhaltungswertes Ihres Berichts).

frollein am 13.Feb 12  |  Permalink
Ja, sie hätte länger sein können. Mit mehr Einsatz moderner Betäubungsmittel. Mit weniger Stress für das Kind.

Aber: Hat nicht sollen sein. Und so ist es nun auch alles gut :)

sopravvivere am 13.Feb 12  |  Permalink
da bleibt nur eines zu sagen: Herzliche Gratulation!

frollein am 13.Feb 12  |  Permalink
Dankesehr :)

stilhaeschen am 13.Feb 12  |  Permalink
Meinen Glückwunsch! (Und Sie haben Recht: Geburtsvorbereitung gibt's nicht. Allerdings brauchen Sie sich auch nicht drauf verlassen, daß das zweite schneller ginge... Bei mir lief die erste Geburt ähnlich fix wie bei Ihnen - und keine Zeit für PDA. Nicht so schön, v.a. wenn man im Hinterkopf glaubt, das ginge jetzt noch Stunden so. Das zweite ließ sich zwischendrin mal einige Stunden Zeit, da hätte locker eine PDA reingepasst, aber der Anästhesist hatte besseres zu tun. Als er endlich kam, setzte und fertig war, kam auch das Kind schon. Danke auch. Oder kurz gesagt: es kommt, wie es kommt. Immer.)

maracaya am 13.Feb 12  |  Permalink
Wow. Was fuer eine rasante Geburt.

Und wow. Was fuer ein suesser kleiner Kerl!

Und das mit den Geburtsvorbereitungskursen kann man eh vergessen. Ich kann mich nicht erinnern, dass mal irgendjemand von einer Geburt erzaehlte, die wirklich anch dem da gelehrten Schema F ablief >.<

cabman am 14.Feb 12  |  Permalink
Herzlichen Glückwunsch!

Dieser Bericht ist sehr sehr erhellend!